Gibt es einen Anspruch auf einen leidensgerechten Arbeitsplatz?
Der Arbeitnehmer ist schwerbehindert und begehrt eine andere, leidensgerechte Beschäftigung. § 164 Abs. 4 S. 1 Nr. 4, 5 SGB IX (Schwerbehindertenschutz)
Danach hat der Arbeitnehmer Anspruch auf:
- behinderungsgerechte Einrichtung/Unterhaltung der Arbeitsstätten
- behinderungsgerechte Gestaltung der Arbeitsplätze, des Arbeitsumfelds, der Arbeitsorganisation und der Arbeitszeit
- Ausstattung des Arbeitsplatzes mit erforderlichen technischen Arbeitshilfen.
- Umgestaltung der Arbeitsorganisation – beispielsweise
- Zuteilung nur noch leichter Arbeiten
- Beschäftigung nur noch an leichten Maschinen
Anspruch auf Versetzung auf einen anderen (gleichwertigen) freien leidensgerechten Arbeitsplatz – z. B. im Falle einer entsprechenden Ausschreibung.
Die Umgestaltung des Arbeitsplatzes kann beispielsweise erfolgen durch
- höhenverstellbarer Schreibtisch
- Hebehilfe für schwere Tätigkeiten.
Vertragsanpassung
Der Arbeitgeber kann auch zu einer Vertragsanpassung verpflichtet sein, wenn eine Versetzung auf einen anderen freien Arbeitsplatz mit neuer Tätigkeit möglich ist und dies von der Qualifikation des Arbeitnehmers umfasst ist, insbesondere der gleichen Vergütungsgruppe angehört.
Der Arbeitgeber ist sogar zu einer Umschulung verpflichtet, soweit ihm dies zumutbar ist und nicht unverhältnismäßig hohe Aufwendungen nach sich zieht. Zu einer Schaffung eines neuen Arbeitsplatzes ist er nicht verpflichtet. Er ist auch nicht zur Schaffung eines Wunscharbeitsplatzes verpflichtet. Der Arbeitgeber kann vielmehr die wirtschaftlichste Lösung wählen.
Der Arbeitgeber muss nicht an den Arbeitnehmer herantreten, vielmehr muss der Arbeitnehmer aktiv werden und einen leidensgerechten Arbeitsplatz geltend machen.
Die Schaffung eines leidensgerechten Arbeitsplatzes kann auch dadurch erfolgen, dass ein anderer Arbeitnehmer von seinem Arbeitsplatz versetzt wird, soweit der Arbeitgeber hierzu im Rahmen des Direktionsrechts befugt ist. Es besteht in der Regel allerdings kein Anspruch auf Freikündigung.
Der betroffene Arbeitnehmer darf nicht selbst leistungsgemindert sein.
Bei Betrieben mit Betriebsrat ist die Zustimmung des Betriebsrats notwendig.
Eine Freikündigung ist ausnahmsweise zulässig, wenn der Anspruchsteller schwerbehindert ist, der zu Kündigende keinen Kündigungsschutz hat und die Kündigung für ihn keine besondere Härte darstellt.
II. Leistungsgeminderter Arbeitnehmer, welcher nicht als Schwerbehinderter anerkannt ist
Auch dieser Arbeitnehmer hat einen Anspruch auf leidensgerechte Beschäftigung und auf leistungssichere Maßnahmen, sofern anderenfalls eine dauerhafte Erkrankung droht. Der Anspruch wird vom BAG auf § 241 Abs. 2 gestützt.
Auch dieser Arbeitnehmer hat einen Anspruch auf Neubestimmung der Tätigkeit im Rahmen des Arbeitsvertrags. Voraussetzung ist, dass der Arbeitnehmer aktiv wird und eine Anpassung geltend macht.
Die Anpassung kann auch hier bestehen in der Umgestaltung des aktuellen Arbeitsplatzes, bei spielsweise des Schreibtisches oder Zurverfügungstellung einer Hebehilfe, der Arbeitsorganisation, Versetzung auf einen anderen gleichwertigen und freien Arbeitsplatz (Ausschreibungen verfolgen!).
Der Arbeitnehmer kann auch eine andere Tätigkeit verlangen, wenn sie seiner Qualifikation und Vergütungsgruppe entspricht. Auch hier ist der Arbeitgeber sogar zu Qualifizierungsmaßnahmen verpflichtet, soweit sie nicht eine unzumutbare Belastung für den Arbeitgeber darstellen.
Teilzeitbegehren
Behinderte und leistungseingeschränkte Arbeitnehmer können auch eine Teilzeit/befristete Teilzeit geltend machen.
Der Anspruch auf befristete Teilzeit und spätere Rückkehr in die Vollzeit ist inzwischen gesetzlich geregelt.
Stufenweise Wiedereingliederung
Beide, Schwerbehinderte und Leistungsgeminderte, können auch eine stufenweise Wiedereingliederung geltend machen.
III. Gerichtliche Durchsetzung
Der Anspruch auf Schaffung eines leidensgerechten Arbeitsplatzes kann auch durch Klage beim Arbeitsgericht geltend gemacht werden. Hierbei muss die vom Arbeitgeber zu treffende Maßnahme konkret bezeichnet werden, beispielsweise den Arbeitgeber zu verurteilen, den Arbeitsplatz des Klägers Markus Mustermann als Schlosser aufgrund seines Bandscheibenleidens wie folgt umzugestalten:
a) durch Anbringung einer Hebehilfe
b) Bereitstellung einer Sitzgelegenheit
c) Einrichtung eines höhenverstellbaren Arbeitstisches
oder
die Beklagte zu verurteilen, den Kläger als Drucker in der Abteilung C mit folgenden
Tätigkeiten zu beschäftigen
a) Koordination der Druckvorgänge
b) Überwachung der Druckmaschinen
und zwar unter Versetzung des Arbeitnehmers Markus Mustermann.
Er kann auch die Versetzung auf eine geringerwertige Stelle bei entsprechender verminderter Vergütung geltend gemacht werden, wobei in Tarifverträgen zum Teil für diesen Fall eine Vergütungssicherung geregelt ist.
IV. Betriebliches Eingliederungsmanagement
BMI nach § 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX
Wenn der Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres mehr als 6 Wochen arbeitsunfähig krank wird, hat der Arbeitgeber die Möglichkeiten zu klären, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der
Arbeitsplatz erhalten werden kann.
Ziel ist die Umgestaltung in einen leidensgerechten Arbeitsplatz. Als Mittel kommen insbesondere in Frage
- Umgestaltung des bisherigen Arbeitsplatzes
- Veränderung der Arbeitsorganisation
- Wechsel auf freien leidensgerechten Arbeitsplatz
- Wechsel auf leidensgerechten Arbeitsplatz durch Versetzung des bisherigen Arbeitsplatzinhabers
- stufenweise Wiedereingliederung
- Einholung arbeitsmedizinischer Gutachten
- Weiterbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen.
Der Arbeitnehmer muss darlegen, wie er sich die Änderung des Arbeitsplatzes oder eine weitere Beschäftigung vorstellt.
Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, von sich aus bestimmte Vorschläge dem Arbeitnehmer zu unterbreiten.
Im Falle der Schwerbehinderung oder der Gleichstellung mit Schwerbehinderten sind gemäß § 164 Abs. 2 SGB IX folgende Stellen zu beteiligen:
- Betriebsrat
- Schwerbehindertenvertretung
- Integrationsamt
- Integrationsfachdienst
- Rentenversicherungsträger
- Agentur für Arbeit, soweit Leistungen zur Teilhabe oder begleitende Hilfen im Arbeitsleben
- in Betracht kommen.
Nach meiner Erfahrung ist besondere Vorsicht geboten und die Begleitung durch einen RA/Fachanwalt für Arbeitsrecht dringend empfehlenswert, da der Arbeitgeber ansonsten dieses Verfahren zur Vorbereitung auf den Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung nutzt. Der Arbeitnehmer ist, wenn er auf sich gestellt ist, dem Verfahren hilflos ausgeliefert.
V. Krankheitsbedingte Kündigung
Der Arbeitnehmer kann seine bisherige Tätigkeit nicht mehr ausüben und eine Besserung ist nicht zu erwarten.
Wäre eine krankheitsbedingte Kündigung durch den Arbeitgeber wirksam?
Der Arbeitgeber muss prüfen, ob nicht ein minderes Mittel vorhanden ist, nämlich
- Umgestaltung des Arbeitsplatzes
- Umsetzung auf einen freien leidensgerechten Arbeitsplatz
- Umsetzung auf einen – besetzten – Arbeitsplatz
- Ausspruch einer Änderungskündigung.
Wenn der Arbeitgeber es unterlassen hat, vor Ausspruch der Kündigung ein betriebliches Eingliederungsmanagement durchzuführen, muss er in besonderem Umfange vortragen, dass eine Weiterbeschäftigung unter Berücksichtigung dieser Gestaltungsmöglichkeiten keinen Erfolg verspricht.
Im Ergebnis wird der Arbeitgeber in diesem Fall mit dem Ausspruch der Kündigung scheitern.
VI. Schadensersatzansprüche/Lohnansprüche
Arbeitgeber bleibt trotz Aufforderung des Arbeitnehmers zur Schaffung eines leidensgerechten Arbeitsplatzes untätig
Wenn der Arbeitgeber es schuldhaft unterlässt, einen leidensgerechten Arbeitsplatz einzurichten, hat der Arbeitnehmer Anspruch auf Zahlung des entgangenen Lohns. Darüber hinaus kann der Arbeitnehmer, sofern die Untätigkeit des Arbeitgebers zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustands führt, Schadensersatz/Schmerzensgeld gegenüber dem Arbeitgeber geltend machen, sofern die Untätigkeit vorsätzlich erfolgt ist.
VII. Meine Empfehlung
- Abschluss einer Rechtsschutzversicherung, soweit noch nicht gegeben.
- Nehmen Sie den Rat eines Fachanwalts für Arbeitsrecht und die Begleitung durch einen Fachanwalt für Arbeitsrecht in Anspruch.
In einem ersten Beratungsgespräch können bereits entscheidende mögliche Schritte aufgezeigt werden, ohne dass an den Arbeitgeber herangetreten werden muss!