Mobbing im Supermarkt

Ein neuer Mobbingfall und seine Lösung

Der Trend geht weltweit zur Selbstscanner-Kasse, in China gibt es schon Supermärkte, die bereits ganz ohne Personal auskommen: Die in den Warenkorb gelegten Waren werden automaisch mit der Kreditkarte abgegolten, sobald man den Laden verlässt. In Deutschland gelten die KassiererInnen seit Corona als Alltagshelden. Ihr Job wird aber oft nicht wirklich anerkannt. Sie sind daher schon von Berufs wegen einiges von ihren Kunden gewohnt. Dass leider auch die Chefs ihre MitarbeiterInnen nicht immer schätzen, zeigt der folgende Fall. Wieder bestätigt sich, eine lange Anstellung in einem Betrieb schützt nicht vor Mobbing. Vielleicht befinden Sie sich auch in einer ähnlichen, schwierigen Situation und wissen nicht, wie Sie aus ihr allein wieder herausfinden sollen. Dieser Fall könnte der Ihre sein. Lesen Sie selbst.

Nach 20 Jahren gemobbt

Frau E. ist in einer größeren Lebensmittelkette seit mehr als 20 Jahren als gelernte Einzelhandelskauffrau beschäftigt. Sie hat ihr Handwerk von der Pieke auf gelernt und macht ihren Job gerne. In ihrer langen Tätigkeit für die Arbeitgeberin ist sie in verschiedenen Filialen eingesetzt worden. Das hat immer für ein bisschen Abwechslung gesorgt und sie fit gehalten. Doch dann wurde alles anders: Seit der letzten Versetzung arbeitet sie unter einem Filialleiter, dem sie ein Dorn im Auge zu sein scheint. Es kommt zu Mobbing.
Als Einzelhandelskauffrau ist sie keine ungelernte Arbeitskraft, ihr Spektrum ist groß und sie hat alle Aspekte abgedeckt. Sie war nicht nur an der Kasse tätig, sondern – gemäß ihrer anspruchsvollen Ausbildung – zuständig für die

  • Sicherstellung einer optimalen Verkaufsbereitschaft
  • den Aufbau einer verkaufsfördernden Warenpräsentation
  • die kompetente Fachberatung
  • die Durchführung von Qualitäts- und Frischhaltekontrollen
  • die Präsentation der Werbeartikel
  • die Umsetzung der Preis- und Deklarationsvorgaben.

Plötzlich Arbeiten wie ein Praktikant

Unter dem neuen Filialleiter wird sie regelrecht degradiert, ihr die oben genannten Aufgaben nach und nach entzogen und sie wie ein Praktikant behandelt. Sie wird jetzt mit einfachen, anspruchslosen Aufgaben beschäftigt wie

  • Einsortieren
  • Auswischen
  • Bestellungen
  • Datenkontrolle.

Dies Aufgaben, werden zum größten Teil durch Aushilfskräfte, Praktikanten und Studenten erledigt. Der Kundenkontakt wird ihr größtenteils entzogen. Der Vorgesetzte machte Frau E. hinter ihrem Rücken gegenüber den anderen Kollegen schlecht. Zu einer Verschärfung der Situation am Arbeitsplatz kommt es, als Frau E. bei einer Inventur abgelaufene Haltbarkeitsdaten vorfindet.

Abgelaufener Käse – na und?

„Frau E. , das ist doch nur eine harmlose Maus!“

Es kommt zu einem Gespräch mit dem Abteilungsleiter und mit dem Qualitätsmanager. Frau E. beharrt darauf, dass dies nicht korrekt und sie damit nicht einverstanden sei, dass sich unter der Ware solche mit abgelaufenem Haltbarkeitsdatum befindet. Warum man die Ware nicht verbilligt anböte oder sie auszeichne, wie es anderswo üblich sei. Ihr wurde erwidert, sie solle sich nicht so anstellen. Das sei nicht ihr Thema. Sie sehe weiße Mäuse. Frau E. ist sich sicher, wenn sie wirklich Mäuse sehen würde, würde man ihr entgegnen, die seien doch anders als sie ganz harmlose kleine possierliche Tierchen.
Auch in der Folgezeit stellt Frau E. erneut fest, dass in der Käseabteilung Waren abgelaufen sind. Sie teilt dies dem Filialleiter, ihrem unmittelbaren Vorgesetzten, mit. Dieser tut den Hinweis als belanglos ab und gibt ihr zu verstehen, dass sie übertreibe: „Frau E., kann es sein, dass sie hystersch sind?“

In der Folgezeit kommt es zu einer zunehmenden Ausgrenzung der Mitarbeiterin. Führungspersonen weigern sich, mit Frau E. zusammenzuarbeiten. Befreundete Kolleginnen werden aus ihrem Umkreis abgezogen. Mitarbeiter werden gegen Frau E. aufgehetzt. Im Aufenthaltsraum wird Frau E. von den Kolleginnen isoliert und sie nimmt ihr Frühstück und das Mittagessen – abgesondert von den Kolleginnen – ein.
Die unerträgliche Situation führt schließlich dazu, dass Frau E. wegen Depression und Burnout auf längere Zeit arbeitsunfähig erkrankt.

Nach mehr als zehnmonatiger Arbeitsunfähigkeit entscheidet sie sich, anwaltlichen Rat in Anspruch zu nehmen und sucht meine Kanzlei für Arbeitsrecht am Kudamm auf.

Lösungswege aus der Krise

Gemäß der Vorstellung von Frau E. und auch gemäß der ärztlichen Empfehlung war eine Rückkehr an den Arbeitsplatz ausgeschlossen.
Die schwere Erkrankung führte dazu, dass auch eine Versetzung in eine andere Filiale ausschied. Frau E. wünschte eine Beendigung, möglichst gegen Zahlung einer Abfindung. Ihr Ziel war die Aufnahme einer neuen, konfliktfreien beruflichen Tätigkeit.
Vor diesem Hintergrund habe ich den Filialleiter in einem freundlichen E-Mail-Schreiben unter Hinweis auf die schwierige Situation im Arbeitsverhältnis angeschrieben und eine persönliches Gespräch – gern auch in seinen Geschäftsräumen – angeregt, verbunden mit der Hoffnung, dass eine beide Seiten befriedigende Lösung gefunden werden könne. Ich habe zugleich um Wahrung der Vertraulichkeit gebeten und aus diesem Grunde die Form der E-Mail-Anschrift gewählt.

„Abfindung zahl ich nicht!“

Die Rückmeldung durch die Filialleitung kam innerhalb einer Woche, es fand zunächst eine fernmündliche Kontaktaufnahme statt, in welcher eine Besprechung in den Geschäftsräumen innerhalb der folgenden 10 Tage vereinbart wurde.
Bei diesem Gespräch wies der Filialleiter – aus seiner Sicht – auf Probleme mit Frau E. hin, wobei ich hierzu erklärt habe, dass es für mich nicht überraschend sei, dass auch eine gegenteilige Darstellung durch die Geschäftsleitung erfolgt, dieses entspreche vielmehr meiner üblichen Erfahrung in derartigen Konfliktsituationen. Es wurde schließlich auch Einigkeit dahingehend erzielt, dass eine Versetzung in eine andere Filiale in der vorliegenden Situation wenig Sinn mache, da Frau E. aufgrund des Burnout für eine entsprechende Tätigkeit „ausgebrannt“ sei. Dies ist die gängige Erfahrung in Burnout-Fällen.
Es wurde sodann sehr ausführlich ein Ausstiegsszenario erörtert, wobei der Arbeitgeber von Beginn an die Zahlung einer Abfindung ausschloss.
In diesem begrenzten Verhandlungsspielraum konnte dennoch eine für Frau E. gute und in die Zukunft weisende Lösung gefunden werden, nämlich

  • Ausspruch einer Kündigung durch die Arbeitgeberin
  • Einreichung der Klage
  • Einigung im gerichtlichen Verfahren zu den nachfolgenden sieben Bedingungen:
  1. Beendigung aus personenbedingten Gründen unter Beachtung der Kündigungsfrist von 7 Monaten
  2. Freistellung unter Anrechnung auf Urlaubsansprüche
  3. Sprinterklausel“ (Möglichkeit der kurzfristigen Kündigung durch Frau E. und Zahlung einer Abfindung in Höhe der Arbeitnehmerbruttobeträge, deren Zahlung der Arbeitgeber durch die vorfristige Kündigung erspart hatte)
  4. Zahlung einer Abfindung, soweit der Arbeitgeber aus anderen Gründen von der Verpflichtung zur Entgeltzahlung frei wurde (dies bezieht sich insbesondere auf die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit)
  5. Erteilung eines sehr guten Zwischenzeugnisses
  6. Erteilung eines Zeugnisses mit einer Dankes-, Bedauerns- und Gute-Wünsche-Formel und dem Hinweis, dass die Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf Wunsch der Frau E. erfolgt, da sie sich neuen Aufgaben zuwenden wolle.

Von Bedeutung war insbesondere die Formulierung des Zeugnisses bzw. Zwischenzeugnisses und die Vermeidung versteckter Klauseln, auch wenn dies nicht immer mit Absicht erfolgt.

Welche Möglichkeiten standen Frau E. im Konflikt zur Verfügung?

a) Antrag auf BEM

Es war schnell deutlich geworden, dass Frau E. in der neuen Filiale in eine ausweglose Mobbingsituation hineinschlittert.
Sie hätte nach einer 6-wöchigen Arbeitsunfähigkeit ein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) beantragen können und in diesem Rahmen auf eine Versetzung in eine andere Filiale bestehen können,

  • mit Unterstützung der Frauenbeauftragten
  • mit Unterstützung von Mitgliedern des Betriebsrats, soweit diese ihr wohlgesonnen waren.

Diese Optionen hätten aufgezeigt werden können, wenn sie frühzeitig anwaltlichen Rat in Anspruch genommen hätte.
Im Falle, dass Frau E. schon zu diesem Zeitpunkt eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses – auch in eine anderen Filiale – nicht gewünscht hätte, hätte ich – im Falle meiner Beauftragung – den Weg, wie oben dargestellt, gewählt und eine für Frau E. günstige Ausstiegsregelung erreichen können.

b) Erhebung einer Klage auf Unterlassung

  • vertragsgemäße Beschäftigung
  • Schadensersatz wegen Mobbing?

Dieser Weg ist ungeeignet, wenn – aus Sicht des Arbeitnehmers – eine schnelle Veränderung erreicht werden soll.
Hier ist von Bedeutung, dass dies mit juristischen Mitteln nicht erreicht werden kann. Gerichtliche Mobbingverfahren erstrecken sich über einen langen Zeitraum von weit mehr als 1 Jahr, der Arbeitgeber führt diese Verfahren mit aller Härte und mit Gegenvorwürfen, welche auch für den gesunden Kläger schwer zu ertragen sind. Diese Art der Verfahren führen zu einer Verschlechterung des gewünschten Genesungsprozesses. Darüber hinaus sind sie mit großen Schwierigkeiten verbunden, da der Arbeitnehmer alle Umstände des Mobbings darlegen und beweisen muss, auch wenn ihm unter bestimmten Umständen durch das Gericht Beweiserleichterungen zugestanden werden (siehe hierzu die allgemeinen Ausführungen zum Thema Mobbing).

c) Wie hätte sich Frau E. verhalten können, als sie die Praxis der Verfalldaten in der letzten Filiale feststellte?

Frau E. hat zutreffend den Abteilungsleiter und den Qualitätsmanager von dem Befund in Kenntnis gesetzt, ahnte jedoch nicht, dass sowohl der Qualitätsmanager wie auch der Filialleiter gegen diese Praxis keine Einwendungen erhoben. Gleiches gilt für den Filialleiter, welcher bereits ein
diskriminierendes Mobbinggeschehen inszeniert hatte.

Information an den Betriebsrat, Erhebung einer Beschwerde gemäß § 85 BetrVG

Der Betriebsrat hat beim Arbeitgeber auf Abhilfe hinzuwirken, wenn der Betriebsrat die Beschwerde für berechtigt erachtet.
Im vorliegenden Fall wäre ein solcher Schritt erfolglos geblieben, da der Betriebsrat das Anliegen der Frau E. offensichtlich nicht unterstützte.

Beschwerde gemäß § 84 BetrVG bei den zuständigen Stellen des Arbeitgebers

Der Arbeitgeber hat den Arbeitnehmer über die Behandlung der Beschwerde zu bescheiden. Frau E. hat im vorliegenden Fall zwar nicht die förmliche Beschwerde nach § 84 BetrVG erhoben, allerdings ergibt sich aus der Reaktion der Führungsstellen, dass diese einer Beschwerde nicht abgeholfen hätten und dieses Mittel erfolglos geblieben wäre.

Anzeige an die Lebensmittelaufsicht – eventuell in anonymer Form

Ein solcher Schritt wäre rechtlich zulässig gewesen, nachdem Frau E. alle „internen“ Mittel ausgeschöpft hatte. Allerdings hätte sich der Konflikt am Arbeitsplatz mit großer Wahrscheinlichkeit verschärft. Frau E. war einer solchen extremen Situation nicht mehr gewachsen. Hätte sie mich diesbezüglich um Rat gefragt, hätte ich ihr die zu erwartenden Folgen im einzelnen vor Augen geführt und darauf hingewiesen, dass ein solcher Schritt zu einer wesentlichen Verschärfung der Spannungen – auf Kosten ihrer Gesundheit – führen würde. Auch bei einer anonymen Anzeige wäre der Verdacht auf Frau E. gefallen, sie hätte sich den gleichen Anfeindungen gegenüber gesehen.
Denkbar wäre eine – namentliche – Anzeige einer Kundin. Dies würde allerdings voraussetzen, dass die Kundin wiederholt entsprechende Feststellungen hätte treffen können, um den Schritt der Anzeige zu wählen.

d) Verhängung einer Sperrfrist durch die Agentur für Arbeit

Im vorliegenden Fall hat der Arbeitgeber (absprachegemäß) eine Kündigung unter Beachtung der Kündigungsfristen ausgesprochen. Dies ist in dem gerichtlichen Vergleich festgehalten. Der Arbeitnehmer hat den Verlust des Arbeitsplatzes nicht zu vertreten, so dass eine Sperrfrist ausgeschlossen war.
Möglich ist auch der Abschluss einer Beendigungsvereinbarung mit den gleichen Bedingungen wie oben ausgeführt, wobei eine einvernehmliche Beendigung unter Beachtung der vertraglichen/gesetzlichen/tariflichen Kündigungsfristen vereinbart wird.
Auch in diesem Fall droht nicht die Verhängung einer Sperrfrist, sofern wichtige Gründe für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegeben sind.
Dies ist insbesondere im vorliegenden Fall gegeben, da aus gesundheitlichen Gründen ein Aufrechterhalten des Arbeitsverhältnisses nicht angezeigt war. Die Agentur für Arbeit erkennt derartige Gründe an, wenn sie von einem behandelnden Arzt bestätigt werden. Auch in diesen Fällen wird eine Sperrfrist nicht ausgesprochen.

Abschließend eine letzte Empfehlung:

Sollten Sie sich in einem Konflikt mit einem Arbeitgeber befinden, schließen Sie unverzüglich eine Rechtsschutzversicherung ab, damit zu gegebener Zeit anwaltliche Hilfe in Anspruch genommen werden kann. Wenn Sie fragen haben, rufen Sie mich gerne an.


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    Sammlung von Informationen nicht nur zum Thema Mobbing auf einer Webseite des VFR Verlag für Rechtsjournalismus. Informativ, allerdings mit Werbung versetzt: Link