Schließungen bei Karstadt gefährden massiv Arbeitsplätze

Der 19. Juni 2020 war ein Schwarzer Freitag für die Beschäftigten von der Kaufhauskette Galeria Karstadt Kaufhof. Die Corona-Pandemie mag der letzte Tropfen gewesen sein, aber die Krise ist so neu nicht, nur dass es jetzt einen konkreten Sanierungsplan gibt. Ein Plan, der mehr als ein Drittel der Kaufhäuser (62 von 172) betrifft und dazu führt, dass jeder 5. Arbeitnehmer (5.000 von 28.000) gehen muss.

62 Warenhäuser von insgesamt 170 Warenhäusern bundesweit droht die Schließung. In Berlin sind davon folgende Standorte betroffen:

  • Wilmersdorfer Straße
  • Gropiuspassagen
  • Ringcenter
  • Müllerstraße
  • Hohenschönhausen
  • Tempelhofer Damm

In der Bundeshauptstadt sind etwa 1.000 von 2.100 Mitarbeitern gefährdet. In Brandenburg soll das historische Kaufhaus in der Fußgängerzone in Potsdam geschlossen werden. Auch einigen Karstadt-Sport Filialen droht bundesweit die Schließung. Dazu gehört das Karstadt-Sport am Kranzler Eck in Berlin.

Dies ist das Ergebnis einer Einigung vom 19.06.2020 zwischen der Sigmar Holding, dem Gesamtbetriebsrat und Verd.i durch Abschluss eines
Interessenausgleichs und Sozialplans: Gekündigte Mitarbeiter können für mindestens 6 Monate in eine Transfergesellschaft wechseln.

Die Politik unternimmt derzeit den wenig aussichtsreichen Versuch der Rettung von Standorten. Dazu ein Kommentar der Fraktion Die Linke/Berlin:

“Das konzerninterne Auspressen des Warenhausbetriebs zugunsten der konzerneigenen Immobiliengesellschaft muß endlich beendet werden.”

Die Linke, Fraktion Berlin


I.Welchen Erfolg hat eine Klage beim Arbeitsgericht wegen Kündigung?

Auch bei einer Betriebsschließung ist die Wirksamkeit von Kündigungen für den Arbeitgeber mit großen Risiken verbunden.

  • Formelle Mängel der Kündigung
  • Ermittlung der zutreffenden Kündigungsfrist
  • Sozialauswahl
  • ordnungsgemäße Beteiligung des Betriebsrats
  • ordnungsgemäße Massenentlassungsanzeige.

Es besteht ein Sonderkündigungsschutz für

  • Schwerbehinderte,
  • Elternzeitberechtigte,
  • Mütter,
  • Pflegezeiten
  • Mandatsträger/Betriebsratsmitglieder

Diese Auflistung ist nicht abschließend. Insbesondere bei der Beteiligung des Betriebsrats und der Massentlassungsanzeige an die Agentur für Arbeit unterlaufen in sehr vielen Fällen Fehler, welche zur Unwirksamkeit der Kündigung führen.

Je nach Interessenlage lohnt es sich, die Kündigung gerichtlich überprüfen zu lassen:

  • sei es mit dem Ziel der Weiterbeschäftigung,
  • sei es mit dem Ziel der Erhöhung einer Sozialplanabfindung.

Die Entscheidung sollte aufgrund einer eingehenden Beratung mit dem Rechtsanwalt bzw. bei Mitgliedschaft in der Gewerkschaft mit dem Rechtsschutzvertreter der Gewerkschaft erfolgen.

Bald stehen in vielen Kaufhäuser die Rolltreppen still. Schließungen in großem Stil drohen.

II.Soll ich eine Aufhebungsvereinbarung anstreben?

Auch diese Frage beantwortet sich nach der konkreten Interessenlage.

Regelungen des Aufhebungsvertrags sind üblicherweise

  • Zeitpunkt und Grund der Beendigung
  • Abfindungshöhe
  • Vererblichkeit
  • Fälligkeit (möglicherweise empfiehlt sich aus steuerlichen Gründen die Zahlung erst im Folgejahr)
  • Steuerersparnis durch Ausgleichszahlung in die Rentenversicherung
  • Zusatzleistungen für die betriebliche Altersversorgung
  • Fortzahlung der Vergütung
  • Gratifikationen
  • Freistellung unter Fortzahlung der Vergütung und unter Anrechnung auf die Urlaubsansprüche
  • Zeugnis/Zwischenzeugnis
  • Absicherung des Insolvenzrisikos
  • betriebliche Altersversorgung
  • Wettbewerbsverbot
  • Sprinterklausel, Möglichkeit der vorzeitigen Beendigung durch den Arbeitnehmer und Anhebung des Abfindungsbetrags

Der Aufhebungsvertrag enthält sozialversicherungsrechtliche Risiken:

  • Sperrzeit mit Anspruchsminderung
  • Ruhensbescheid,

dies gilt insbesondere bei Nichteinhaltung der Kündigungsfrist sowie bei Ausschluss einer ordentlichen Kündigung.

Auch hier sollte die Entscheidung nach Beratung mit einem Rechtsanwalt/Fachanwalt für Arbeitsrecht bzw. einem Rechtsschutzvertreter der Gewerkschaft erfolgen.

Auch im Umfeld der Karstadt-Häuser wird es zu Betriebsschließungen kommen und viele Menschen werden sich einen neuen Job suchen müssen.

III. Soll ich in eine Transfergesellschaft wechseln?

Der Interessenausgleich/Sozialplan mit dem Gesamtbetriebsrat sieht den Wechsel in eine Transfergesellschaft für die Dauer von mindestens 6 Monaten vor.
Der Eintritt in die Transfergesellschaft setzt allerdings voraus, dass eine Beendigungsvereinbarung mit dem bisherigen Arbeitgeber getroffen wird. Dies bedeutet den Verzicht auf Ansprüche gegen den bisherigen Arbeitgeber.
Mit Hilfe der Transfergesellschaft soll bei betriebsbedingten Entlassungen eine Alternative zur Arbeitslosigkeit geschaffen werden, in dem den Arbeitnehmern die Möglichkeit gegeben wird, im Anschluss an die Beendigung des Arbeitsverhältnisses für einen befristeten Zeitraum in der Transfergesellschaft tätig zu sein und diese Zeit zur Qualifizierung und Bewerbung für eine neue Tätigkeit im Arbeitsmarkt zu nutzen.
Die Vergütung setzt sich aus dem Kurzarbeitergeld und – in der Regel – einem Aufstockungsbetrag durch den Arbeitgeber zusammen. Durch den Wechsel in die Transfergesellschaft hat der Arbeinehmer letztlich Zeit für sich gewonnen. Wichtig wäre der Wechsel in die Transfergesellschaft, wenn eine Qualifizierung für eine neue Tätigkeit gewünscht wird.

Bezüglich des Anspruchs auf Arbeitslosengeld – im Anschluss an die Transfergesellschaft – ist wichtig, dass der Lohnbezug bei dem früheren Arbeitgeber maßgeblich ist, insoweit entstehen keine Einbußen.

Jetzt Rechtsschutz abschließen und beraten lassen!

Lassen Sie sich jetzt durch einen erfahrenen Fachanwalt für Arbeitsrecht in Berlin beraten. Sollten Sie noch keine Rechtsschutzversicherung haben, empfehle ich den unverzüglichen Abschluss einer Rechtsschutzversicherung; es ist davon auszugehen, dass die beabsichtigten Maßnahmen eine längere Vorlaufzeit benötigen und eine Kündigung noch unter Rechtsschutz fallen würde. Ich bin gern zu einer (kostenlosen) Informationsveranstaltung in meinen Kanzleiräumen bereit, sofern mindestens 5 Arbeitnehmer daran teilnehmen möchten.

Die betroffenen Kaufhäuser bundesweit:

Diese Filialen will Galeria Karstadt Kaufhof bundesweit schließen:
– Berlin Gropius-Passage (Karstadt)
– Berlin Hohenschönhausen (Kaufhof)
– Berlin Müllerstraße (Karstadt)
– Berlin Ringcenter (Kaufhof)
– Berlin Tempelhof (Karstadt)
– Bielefeld (Karstadt)
– Bonn (Karstadt)
– Braunschweig (Kaufhof)
– Bremen (Kaufhof)
– Bremerhaven (Karstadt)
– Brühl (Kaufhof)
– Chemnitz (Kaufhof)
– Dessau (Karstadt)
– Dortmund (Kaufhof)
– Dortmund (Karstadt)
– Düsseldorf Schadowstraße (Karstadt)
– Düsseldorf Wehrhahn (Kaufhof)
– Essen (Kaufhof)
– Essen (Karstadt)
– Flensburg (Karstadt)
– Frankfurt Hessen-Center (Kaufhof)
– Frankfurt Zeil (Karstadt)
– Fulda (Kaufhof)
– Göppingen (Kaufhof)
– Goslar (Karstadt)
– Gummersbach (Karstadt)
– Gütersloh (Karstadt)
– Hamburg AEZ (Kaufhof)
– Hamburg Bergedorf (Karstadt)
– Hamburg Mönckebergstraße (Kaufhof)
– Hamburg Wandsbek (Karstadt)
– Hamm (Kaufhof)
– Hannover Georgstraße (Karstadt)
– Ingolstadt (Kaufhof)
– Iserlohn (Karstadt)
– Köln Weiden (Kaufhof)
– Landau (Kaufhof)
– Leonberg (Karstadt)
– Leverkusen (Kaufhof)
– Lübeck (Karstadt)
– Mainz (Karstadt)
– Mannheim N7 (Kaufhof)
– Mönchengladbach Rheydt (Karstadt)
– München Am Nordbad (Karstadt)
– München OEZ (Karstadt)
– München Stachus (Kaufhof)
– Neubrandenburg (Kaufhof)
– Neumünster (Karstadt)
– Neunkirchen (Kaufhof
– Neuss (Kaufhof)
– Norderstedt (Karstadt)
– Nürnberg (Karstadt)
– Nürnberg Langwasser (Karstadt)
– Osnabrück (Kaufhof)
– Potsdam (Karstadt)
– Singen (Karstadt)
– Stuttgart Bad Cannstatt (Kaufhof)
– Sulzbach MTZ (Karstadt)
– Trier Simeonstraße (Karstadt)
– Witten (Kaufhof)
– Worms (Kaufhof)

Nachtrag August 2020

Im August wurde für Berlin ein Teilerfolg erstritten: In einem sogenannten Letter of Intent (Absichtserklärung) erklärt sich die Galeria Kaufhof Karstadt GmbH bereit, nur zwei der geplanten sechs Standorte zu schließen, es sind die Filialen im Linden-Center in Hohenschönhausen und in den Gropius-Passagen in Neukölln. Die anderen Berliner Kaufhäuser bekommen eine Bestandsgarantie zwischen drei und zehn Jahren.

Bundesweite konnten weitere Standorte vorerst gerettet werden, darunter das Karstadt in Potsdam.

Wie lange gibt es Karstadt?

Die letzten Jahre

Am 30. November 2018 schloss sich Karstadt mit Galeria Kaufhof unter einer neuen Holding der beiden Anteilseigner Signa (50,01 %) und Hudson’s Bay Company (HBC) (49,99 %) zusammen. Die HBS stieg bereits bis zum Herbst aus der Holding aus und verkaufte ihren Anteil an Signa.

Seit dem 25. März 2019 treten Karstadt und Kaufhof unter dem gemeinsamen Namen Galeria Karstadt Kaufhof auf. Im Januar 2020 folgte die rechtliche Übernahme der Galeria Kaufhof GmbH und die Umfirmierung in Galeria Karstadt Kaufhof GmbH.

Die Gründungsjahre

Am 14. Mai 1881 gründete Rudolph Karstadt sein erstes Geschäft in der Hansestadt Wismar unter dem Namen Tuch-, Manufactur- und Confectionsgeschäft Karstadt. Schnell entstanden Filialen in 24 Städten Norddeutschlands. Karstadt maximierte seine Gewinne, indem er den Wareneinkauf zentral abwickelte und Ware auch direkt, ohne Zwischenhandel, von den Herstellern bezog. Bis dato waren Preisverhandlungen üblich gewesen, Karstadt führte in seinen Geschäften stattdessen Festpreise ein. Das zweite Karstadt-Haus wurde 1884 in Lübeck eröffnet, es zählte prominente Kunden wie die Brüder Thomas und Heinrich Mann zu seinen Kunden. 1928 warf Karstadt auch ein Auge auf Berlin und ließ am Alexanderplatz ein Kaufhaus bauen, das 1931 fertig wurde. 1929 öffnete zuvor das moderne Haus am Hermannplatz, ein Standort, der in den letzten Monaten für Furore sorgte, weil hier ein neues Karstadt nach dem Vorbild des im 2.Weltkrieg nahezu vollständigt zerstörten Komplexes hochgezogen werden soll. Allerdings nicht nur mit dem Kaufhaus Karstadt als Mieter, sondern auch mit Buro- und Wohnflächen. Leider sind die Shopping-Standorte auf Grund ihrer guten Innenstadtlage in den Fokus von lukrativen Immobiliengeschäften geraten. Es scheint so, dass die Ära der Kaufhäuser vorbei ist. Nur Edelkaufhäuser wie das Harrods in London, das Lafayette in Paris und das KaDeWe in Berlin können sich halten, indem sie sich immer wieder neu erfinden.

Foto: Sonia Keller 2019