Neuere Urteile zum Aufhebungsvertrag

Anfechtung und Unwirksamkeit

Aufhebungsverträge können aus vielen Gründen unwirksam sein bzw. angefochten werden:

  • Der Arbeitnehmer kann sich über den Inhalt des Aufhebungsvertrags geirrt haben. In diesem Fall muss er nach Kenntnis des Irrtums den Aufhebungsvertrag alsbald anfechten §119 BGB.
  • Der Aufhebungsvertrag kann durch unzulässige Drohung zustande gekommen sein (z. B. unzu­lässige Androhung einer fristlosen und fristgemäßen Kündigung, unzulässige Drohung mit einer Strafanzeige). §123 II BGB.
  • Der Arbeitnehmer kann über den Inhalt der Aufhebungsvereinbarung durch arglistiges Verhal­ten des Arbeitgebers getäuscht worden sein §123 I BGB.

Anfechtung innerhalb eines Jahres!

In diesen Fällen muss der Arbeitnehmer den Aufhebungsvertrag innerhalb eines Jahres anfech­ten. Die Frist beginnt, sobald er die Täuschung entdeckt hat oder die Bedrohung/Zwangslage auf­hört §124 I BGB.

Vor diesem Hintergrund betrachte ich zwei neuere Urteile zum Aufhebungsvertrag und seiner Wirksamkeit.

Urteil des BAG vom 07.02.2019 – 6 AZR 75/18 –

Ein Aufhebungsvertrag ist unwirksam, wenn er unter Missachtung des Gebots fairen Verhan­delns zustande gekommen ist.

Urteil des BAG vom 07.02.2019 – 6 AZR 75/18 –

Zu den oben aufgezählten Möglichkeiten der Lösung von einer Aufhebungsvereinbarung hat das BAG festgestellt, dass ein Aufhebungsvertrag auch unwirksam ist, wenn er unter Mißachtung des Gebots fairen Verhandels zustande gekommen ist – es handelt sich hierbei um eine gesetzlich festgelegte Nebenpflicht gemäß §§ 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2 BGB. Danach ist jeder Teil zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüte und Interessen des anderen Teils verpflichtet.

Dies gilt auch für die Aufnahme von Verhandlungen, betreffend den Abschluss einer Aufhe­bungsvereinbarung.

4 gute Gründe, einen Aufhebungsvertrag anzufechten

Bezüglich des Gebots fairen Verhandels führt das BAG beispielhaft vier Fallgruppen auf, in welchen der Arbeitgeber eine Verhandlungssituation schafft oder ausnutzt, die eine unfaire Behandlung des Vertragspartners darstellt.

  • psychischer Druck
  • physische Schwäche
  • mangelnde Sprachkenntnisse
  • Überrumpelung

Geschützt wird die Entscheidungsfreiheit des Vertragspartners.

Fairness first

Gemäß BAG soll ein Mindestmaß an Fairness im Vorfeld des Vertragsschlusses hergestellt wer­den, allerdings geht es nicht um die Schaffung einer besonders angenehmen Verhandlungssituati­on. Eine psychische Drucksituation wird danach geschaffen oder ausgenutzt, wenn die freie und überlegte Entscheidung erheblich erschwert oder unmöglich gemacht wird. Unzulässiger Druck wird insbesondere durch die Schaffung unangenehmer Rahmenbedingungen geschaffen.

Die Ausnutzung einer erkennbaren körperlichen oder psychischen Schwäche oder unzureichen­der Sprachkenntnisse oder die Überrumpelung durch Nutzung eines Überraschungseffekts stellen eine unfaire Behandlung des Vertragspartners dar. Der Arbeitgeber kann auch verpflichtet sein, von sich aus geeignete Hinweise zu geben oder ent­sprechende Aufklärung zu leisten.

Wenn er Auskünfte erteilt, müssen diese allerdings richtig, eindeutig und vollständig sein. Entscheidend ist immer die konkrete Situation des Einzelfalls. Der Aufhebungsvertrag ist unter den oben genannten Voraussetzungen in der Regel unwirksam.

Der Arbeitnehmer kann in der Regel auch zwischenzeitlich aufgelaufene Lohnansprüche, welche bei einer Weiterbeschäftigung entstanden wären, geltend machen.

Der Entscheidung des BAG lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Klägerin war als Reinigungshilfe bei der Beklagten beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis be­stand unbefristet, da eine von der Beklagten vorgenommene „Verlängerung“ rechtsunwirksam war.

Der Lebensgefährte der Arbeitgeberin suchte die Klägerin gegen 17 Uhr in ihrer Wohnung auf und legte ihr einen Aufhebungsvertrag vor. Die Klägerin unterschrieb diesen Vertrag. Danach wurde das Arbeitsverhältnis „einvernehmlich“ mit demselben Tag beendet. Arbeitspapiere und Erteilung eines wohlwollenden Zeugnisses wurden vereinbart. Eine Abfindungszahlung sollte nicht erfolgen.

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin focht den Aufhebungsvertrag an. Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht hatten die Klage abgewiesen.

Das BAG hat die Entscheidungen aufgehoben mit der Begründung, dass ein Aufhebungsvertrag unwirksam ist, wenn er unter Missachtung des Gebots fairen Verhandelns zustande gekommen ist. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn eine Seite eine psychische Drucksituation schafft oder ausnutzt, die eine freie und überlegte Entscheidung des Vertragspartners über den Abschluss eines Aufhebungsvertrags erheblich erschwert oder unmöglich macht.

Der betroffene Arbeitnehmer sollte in diesen Fällen einen Rechtsanwalt hinzuziehen. Der Arbeit­nehmer ist regelmäßig überfordert, seine Rechte allein erfolgreich wahrzunehmen. Dies gilt ins­besondere deshalb, weil alle Voraussetzungen für eine Aufhebung/Anfechtung vom Arbeitneh­mer vorzutragen und zu beweisen sind. Hier ist der Arbeitnehmer in der Regel – ohne anwaltliche Hilfe – überfordert.


Urteil des LAG Mecklemburg-Vorpommern vom 19.05.2020 – 5 Sa 173/19

Das LAG Mecklemburg-Vorpommern hatte über folgenden Sachverhalt zu entscheiden:

Der Kläger, gelernter Diplom-Agrar-Ingenieur, war bei dem Beklagten Land Mecklemburg-Vor­pommern als Quereinsteiger bei einer Regionalschule mit einem befristeten Arbeitsvertrag (01.11.2016 bis 09.12.2016) als Unterrichtsvertretung für eine rentenbedingt ausgeschiedene Lehrkraft für die Fächer Informatik und Physik eingesetzt. Nach 5 Wochen verlängerten die Par­teien die Beschäftigung für weitere 7 Monate. Es handelte sich hierbei um eine Förderschule.

Ab Mitte 2017 besuchte der Kläger eine berufsbegleitende pädagogische Fortbildung – Dauer 1 Jahr. Am 13.08.2017 schlossen die Parteien einen weiteren Vertrag, wonach der Kläger rückwir­kend zum 01.08.2017 – sachgrundlos befristet – bis zum 31.08.2018 beschäftigt werden sollte.

Diese Befristung war – dem Kläger nicht bekannt – aus rechtlichen Gründen rechtsunwirksam.

Im Oktober 2018 besuchte die Leiterin mehrfach den Unterricht des Klägers und erklärte am 25.10.2018 gegenüber dem Kläger – so seine Darstellung -, dass beabsichtigt sei, das Arbeitsver­hältnis mit ihm innerhalb der Probezeit zu beenden. Sie werde eine entsprechend negative Be­wertung verfassen. Sie forderte ihn auf, seine Schlüssel und Arbeitsunterlagen abzugeben.

Der Kläger meldete sich daraufhin arbeitsunfähig krank. Danach wurde der Kläger zu einem Ge­spräch am nächsten Tag eingeladen, um die Situation zu besprechen, da wohl etwas schief gelau­fen sei.

In dem Gespräch hat der für den Arbeitgeber auftretende Justiziar erklärt, das Arbeitsverhältnis beenden zu wollen, und sich auf die Probezeit berufen. Anstatt einer markelbehafteten Kündi­gung in der Probezeit habe der Justiziar einen Aufhebungsvertrag vorgeschlagen. Die vom Klä­ger erbetene Bedenkzeit habe der Justiziar kategorisch abgelehnt. Wenn der Kläger nicht an Ort und Stelle unterschreibe, erhalte er eine Kündigung in der Probezeit. Der Aufhebungsvertrag lag bereits unterschriftsreif auf dem Tisch. Der Kläger war bei dem Gespräch davon ausgegangen, dass er sich gegen eine Kündigung in der Probezeit nicht wehren könne.

Der Justiziar wurde als Zeuge gehört. Das LAG zitiert den Justiziar wie folgt:

„Jedenfalls kam der Kläger am 26.10.2018 zu mir und war völlig verzweifelt. Sinngemäß sagte er: „Hol mich hier raus“. Er war mit seinen Nerven am Ende.“

Das LAG sieht eine Verletzung des Gebots fairen Verhandelns und bezieht sich hierbei auf die o. g. Entscheidung des BAG.

Die Schulleitung habe den Kläger überrumpelt und begründet dies mit folgenden Umständen:

  • kurzes Gespräch von nur 10 bis 15 Minuten Dauer
  • Nichtgewährung einer Bedenkzeit/Nichteinräumung eines Widerrufs/Rücktrittsrechts – Ausnutzung einer psychischen Ausnahmesituation
  • Schaffung einer psychischen Drucksituation
  • Ausübung eines unzulässigen Drucks wegen der Androhung einer (unzulässigen) Kündigung.

Das LAG hat die Entscheidung des Arbeitsgerichts aufgehoben und festgestellt, dass der Aufhe­bungsvertrag rechtsunwirksam ist.

Die Unwirksamkeit führte zur Fortsetzung des ursprünglichen Vertrags zu den bisherigen, unver­änderten Vertragsbedingungen. In der Regel hat der Arbeitnehmer Anspruch auf Lohnzahlung für den Zeitraum zwischen Beendigung und gerichtlicher Klärung. Hierbei geht es häufig um er­hebliche Geldzahlungen.

Mein Fazit

Die Ausführungen zeigen, dass in vielen Fällen eine Anfechtung/Lösung von einer benachteili­genden Aufhebungsvereinbarung geprüft werden sollte. Das BAG hat durch die Forderung des Gebots fairen Verhandelns hierzu einen erweiterten Spiel­raum geschaffen. Insoweit sollte in jedem Fall die Hilfe eines fachkundigen Rechtsanwalts/Fachanwalts für Ar­beitsrecht in Anspruch genommen werden.

Berlin, November 2020 – Rechtsanwalt Georg Wenning Fachanwalt für Arbeitsrecht