MOBBING, BURN-OUT UND ANFECHTUNG EINES AUFHEBUNGSVERTRAGS
Der folgende Fall ist leider nicht der einzige in meiner langjährigen Praxis als Arbeitsrechtler. Das Leben schreibt die besten Geschichten. Oft ist es wie ein Zug, von dem man, wenn er erst einmal Geschwindigkeit angenommen hat, nicht mehr so leicht abzuspringen vermag. Das Leben auf dem Zug hat seine eigene Logik, alles scheint miteinander verwoben. Oft führt erst eine schmerzhafte Notbremsung dazu, den Zug zu verlassen und sich von außen ein neues Bild über die Situation zu machen. Bei dieser Vollbremsung gerät das ganze Gefüge auseinander und mancher dabei unter die Räder. Diejenigen aber, die sich Hilfe holen, zeigen erste Anzeichen der Veränderung, sie schlüpfen aus ihrer Opferrolle in die eines aktiven, sich Rat holenden Menschen. Im folgenden lesen Sie die Verflechtung von Burn-Out und Mobbing, ein teuflisches Paar, dass verschiedene Rollen fast wie ein Automatismus besetzen läßt. Letztendlich werden sich Opfer und Täter vor Gericht wieder sehen, vorher steckt jeder in seiner Rolle fest. In diesem Fall wäre ein rechtzeitiges Bremsen besser für die Mandatin gewesen, so aber haben wir jetzt einen mustergültigen Fall vorliegen, wenn es darum geht, was alles schief gehen kann. Vielleicht erkennt sich der eine oder die andere darin wieder und vermag für die eigene Situation daraus Schlüsse zu ziehen.
Aufstieg und Fall der Frau B.
Frau B. ist seit mehr als 25 Jahren in einer großen und bedeutenden Catering-Firma beschäftigt, zuletzt in leitender Position. Ihr unterstehen etwa 10 festangestellte Mitarbeiter und ein Heer von Tagesarbeitskräften, welche Arbeitsverträge nur für einen Tag erhalten. Diese werden täglich bei den Sozialversicherungsträgern und beim Finanzamt angemeldet und zum Abend abgemeldet, und zwar auch bei in der Regel längerer Beschäftigung. Die Aushilfen sind auf Dauerarbeitsplätzen eingesetzt, wobei die Arbeitgeberin sich weigert, insoweit Festanstellungen im erforderlichen Umfang vorzunehmen. Diese Praxis hat dazu geführt, dass die Aushilfen zu einem erheblichen Teil ohne die erforderliche Motivation gearbeitet haben. Sie haben keinerlei Absicherung. Im Falle der Erkrankung sind sie ohne Versicherungsschutz, weil das Arbeitsverhältnis jeweils auf einen Tag befristet ist.
Frau B. hat bezüglich der Aushilfen nicht die notwendige Planungssicherheit. Auch die festangestellten Arbeitnehmer kann sie nicht sicher disponieren, da sie aufgrund erheblichen Überstunden immer am Limit kalkulieren muss. Die ständige Fluktuation führt zu erheblichen Störungen im Betriebsablauf, welche Frau B. nur mit übermäßigen Anstrengungen ausgleichen kann. Dem Betriebsrat ist das Problem bekannt, er kann sich jedoch nicht durchsetzen und die rechtswidrige Praxis abstellen.
Am Rande des Burn-Outs
Die beschriebene Belastung traf nicht nur die Frau B. unterstellten Mitarbeiter, auch Frau B. selbst war am Rande des Burn-Out. Möglicherweise aufgrund eines überzogenen Verantwortungsbewusstseins hat sie davon Abstand genommen, wünschenswerte und erforderliche krankheitsbedingte Auszeiten zu nehmen. Um die Aufgaben zu bewältigen, arbeitete sie regelmäßig 12 Stunden/Tag (montags bis freitags, darüber hinaus an Samstagen).
Ergebnis des Dauerstresses: Frau B. fühlt sich ausgebrannt und ist mit den Nerven fertig. Dies hat sie auch gegenüber der Geschäftsführung dargelegt, jedoch ohne Erfolg oder Anerkennung.
Fehlende Motivation
In dieser Verfassung ist es nicht überraschend, dass Frau B. das erforderliche Fingerspitzengefühl verloren geht, um die ihr unterstellten festen und täglich wechselnden Mitarbeiter zu motivieren und in der gebotenen freundlichen Art zu behandeln. Frau B. litt zunehmend unter
- Schlaflosigkeit
- Albträume
- Magenschmerzen
- Weinkrämpfen
- Apathie
- Verkrampfung in der Schulter.
Der Stellvertreter tritt auf die Bühne
Der Stellverteter von Frau B. agierte hinter ihrem Rücken und wiegelte die ihr unterstellten Mitarbeiter gegen sie auf. Er verfasste einen Beschwerdebrief an die Geschäftsführung und den Betriebsrat, in welchem die schlechte Führung und die fehlende Planung angeprangert wurden. Der Brief wurde von einer größeren Zahl von Mitarbeitern – auf Drängen des Stellvertreters – unterzeichnet und der Geschäftsführung und dem Betriebsrat zugeleitet.
Frau B. erhielt hiervon keine Kenntnis. Erst in einem Personalgespräch wurde sie mit den erhobenen Vorwürfen konfrontiert. Zu diesem Zeitpunkt – wahrscheinlich schon zu spät – nahm sie anwaltliche Hilfe in Anspruch.
Das Ultimatum
Die Geschäftsführung stellte Frau B. in einer weiteren Besprechung vor die Wahl
- Ausspruch einer fristlosen Kündigung oder
- Unterzeichnung eines Auflösungsvertrags mit Freistellung während der Kündigungsfrist.
Ihr Rechtsanwalt konnte an dem Personalgespräch nicht teilnehmen, weil zu kurzfristig terminiert. Eine Konsultation nach dem Personalgespräch beschränkte sich auf eine Besprechung, in welcher auch nicht annähernd das Für und Wieder eines Auflösungsvertrags abgeklärt werden konnten.
Folgenreiche Entscheidung unter Druck
Frau B. entschied sich schließlich den Auflösungsvertrag zu unterzeichnen, da sie sich nicht traute, nach Ausspruch einer fristlosen Kündigung ein langwieriges arbeitsgerichtliches Verfahren durchzustehen.
10 Monate nach Unterzeichnung des Vertrags wurde ich mit der weiteren Vertretung beauftragt. Das Arbeitsverhältnis hatte inzwischen schon seit 3 Monaten geendet. Es ging vordringlich um Formulierungen im Zeugnis, welche nicht zufriedenstellend waren.
Die Anfechtung des Aufhebungsvertrags
Ich habe den Aufhebungsvertrag angefochten, weil Frau B. falsch über die Risiken einer Sperrfrist informiert wurde und unzulässig durch Androhung einer fristlosen Kündigung unter Druck gesetzt wurde, da eine fristlose Kündigung nicht gerechtfertigt wäre.
Als Begründung für die fristlose Kündigung berief sich der Geschäftsführer auf nicht näher ausgeführte Verstöße gegen
- Complience-Vorschriften
- Inventur-Vorschriften
- Vorschriften der Arbeitssicherheit.
Vor Gericht
Im Rahmen der gerichtlichen Auseinandersetzung oblag es „uns“, alle Umstände nachzuweisen, welche eine Anfechtung begründeten. Dies war schwierig, da Frau B. im Betrieb die Unterstützung verloren hatte. Auf Vorschlag des Gerichts kam es schließlich zu einer Verständigung über die Beendigung und zu einer nicht sehr hohen Abfindungszahlung. Im Prozeß kam noch einmal die ganze Situation hoch, die schließlich die 25 jährige Karriere im Haus des Catereres beendet hatte. Der Frau B. zugeteilte neue Stellvertreter hatte sie hinter ihrem Rücken bei den ihr untergebenen Mitarbeitern, wie auch in anderen Abteilungen, schlecht gemacht. Frau B. stellte den Stellvetreter wiederholt zur Rede, allerdings ohne Erfolg, da dieser gute Beziehungen zur Geschäftsführung und zum Betriebsrat hatte und sich sicher fühlte.
Die Aufgaben führten zu einer zunehmenden Überlastung. Die wiederholt angeforderte Unterstützung wurde verweigert. Hinzu kam, dass Frau B. für die Leitungsfunktionen nicht die erforderliche Ausbildung und Qualifizierung erhalten hat. Sie hatte sich im Laufe des langjährigen Beschäftigungsverhältnisses in die Leitungsposition hochgearbeitet.
Es kam zunehmend zu Stress und Hektik, welche auch der Geschäftsführung nicht verborgen blieb. Angezeigte Coachingmaßnahmen und andere begleitende Qualifizierungsmaßnahmen wurden nicht zur Verfügung gestellt. Solche Hilfen sind gerade im Catering-Bereich geboten, da Stress und Überlastung im Catering-Bereich als branchenüblich bezeichnet werden müssen. Die Problematik der hohen Überstunden bestand seit mindestens fünf Jahren und ist auch in den Folgejahren nicht gelöst worden.
Sperrfrist 12 Wochen
Als Folge der Aufhebungsvereinbarung verhängte die Agentur für Arbeit eine Sperrfrist von 12 Wochen. Hiergegen habe ich Widerspruch eingelegt, welcher zurückgewiesen wurde und schließlich Klage beim zuständigen Sozialgericht eingereicht, welcher nach einem langwierigen Verfahren entsprochen wurde.
Was offen blieb
Offen waren weiterhin Vergütungsansprüche, welche im Rahmen der Anfechtungsklage nicht geklärt werden konnten, nämlich
- Leistungsprämie
- Monatsgehalt
- Vergütung der Überstunden.
Die Arbeitgeberin berief sich auf tarifliche Ausschlussfristen. Der Arbeitsvertrag nahm auf die Geltung von Tarifverträgen zwar Bezug, allerdings in schwer verständlicher Form. Das Gericht kam jedoch zu dem Ergebnis, dass die Ausschlussfristen im Tarifvertrag zur Anwendung kommen und hat die mit der Klage geltend gemachten Ansprüche zurückgewiesen.
Änderungen am Zeugnis konnten erst in langwierigen außergerichtlichen Verhandlungen erreicht werden, allerdings ist den Änderungswünschen nur teilweise entsprochen worden.
Was ist schief gelaufen?
Frau B. hätte, nachdem sie bei der Geschäftsführung kein Gehör fand und die Probleme auf der Arbeit zunahmen, anwaltliche Beratung oder Coaching in Anspruch nehmen sollen.
Stattdessen „opferte“ sie sich für die Firma auf, auf Kosten ihrer Gesundheit und zum Nachteil des Familienlebens.
Bei frühzeitiger Inanspruchnahme hätte ich entweder den Arbeitgeber in freundlichem Ton um ein Gespräch nachgesucht und gleichzeitig den Betriebsrat miteinbezogen, mit dem Ziel einer Beruhigung der Arbeitsbedingungen und Gewährung der notwendigen Unterstützung.
Als Frau B. schließlich einen Rechtsanwalt zur Beratung aufsuchte, hatten sich die Bedingungen in einem feindseligen Umfeld bereits derart verfestigt, dass wenig Chancen auf eine erträgliche Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bestanden. Zu diesem späten Zeitpunkt ging es vordringlich um
- eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu guten Bedingungen
- Vermeidung einer Sperrfrist
- langfristige Freistellung
- Zahlung einer Abfindung
- Verständigung auf eine gutes Zeugnis
- Verständigung bezüglich 13. Monatsgehalt, Leistungsprämien und Abgeltung der geleisteten
Überstunden - Coaching
- Qualifizierungsmaßnahmen.
Es hätte ein wesentlich besseres Ergebnis erzielt werden können, als berichtet. Auch die schweren gesundheitlichen Schäden, die zu einer Traumatisierung geführt haben, hätten vermieden werden können. Meine Empfehlung: Holen Sie sich rechtzeitig anwaltliche Hilfe.
Der beschriebene Arbeitskonflikt taucht in ähnlicher Form immer wieder in meiner langjährigen Erfahrung auf. Ich möchte betonen, dass es selbst in solchen schier unlösbaren Konflikten, Lösungswege gibt. Besser früher als später.
Mehr zum Thema Mobbing finden Sie hier.
Rechtsanwalt Georg Wenning – Fachanwalt für Arbeitsrecht