Mobbing im Fußball

Fußball ist wie Schach nur ohne Würfel. Für viele ist es ihr Leben, eine Ausdrucksform, eine Leidenschaft, ein Zeitvertreib, für manche auch der Ersatz von Familie oder sogar Krieg. Wenn die bengalischen Feuer gezündet werden, wenn aus voller Kehle skandiert wird, wenn die eigene Mannschaft hochgejubelt und die Gegner niedergeschrien werden. Was sich in den Stadien zum Teil abspielt, erinnert an einen Stellvertreter-Krieg, an Gladiatorenkämpfe im antiken Rom oder in der gängigen Kino-Sprache an die Hungerspiele von Panem. Dieser Sport ist ein Abbild unserer Gesellschaft mit ihren Widersprüchen und Träumen. Dem Traum vom Aufsteiger, der sich hochkickt und dem Traum vom Außenseiter, der mit seinem Fußballspiel seine Fans verzaubert. Viele Hundertausend Zuschauer, am Fernsehr, im Internet, in den Kneipen und im Stadium fiebern mit ihren Idolen mit und wenn die Emotionen hochfliegen, kann auch beobachtet werden, wie der Mensch als solcher tickt – der HOMO FUTBOLIENSIS. Und darum gibt es wohl auch Mobbing im Fußball, so wie im echten Leben.

Es gibt aber Erfreuliches zu berichten, Menschen, auch die Fußballnarren, können auch mal vernünftig sein und gerecht. Die Geschichte des Kevin-Prince Boateng ist ein Beispiel dafür. Sie lehrt uns exemplarisch, wie der Mensch sich verhalten kann und wozu er in der Lage ist, wenn es zu häßlichen Mobbing-Szenen kommt. Lesen Sie nach der Geschichte aus der Hühnerwelt eine über einen nicht gewöhnlichen Fußballspieler aus Berlin und wie er dem Mob(bing) die rote Karte gezeigt hat.

Kevin allein im Stadion

Kevin-Prince Boateng gehört zu den Einzelkämpfern und hat damit auch das Potential aufzufallen, im Positiven wie im Negativen. Wer ist dieser Mann? Kevin-Prince wurde zwei Jahre vor dem Mauerfall in Westberlin geboren. Er ist wie sein Halbbruder, der Fußball-Weltmeister und Nationalspieler Jerome Boateng deutsch-ghanaischer Herkunft. Das Fußballspielen ist ihm in die Wiege gelegt. Die Mutter war Fußballspielerin beim Weddinger FC Meteor 06. Der Onkel väterlicherseits spielte in der Nationalmannschaft in Ghana. Der Vater seiner Mutter soll ein Cousin von Helmut Rahn sein, jenem Rahn, der Deutschland 1954 zum WM-Titel geschossen hat – Das Wunder von Bern, eine wichtige Episode im deutschen Fußball. Kevin-Prince Boateng hat durchaus auch Potential zum Wunder: Er war Mitglied der berühmten U21 Nationalmannschaft, welche in 2009 Europameister wurde und aus welcher die späteren Fußball-Weltmeister 2016 hervorgingen. Er hat in allen vier wichtigen Ligen Europas gespielt und bedeutende Titel errungen:

  • Tottenham Hotspur engl. Ligapokal 2007/08
  • FC Portsmouth engl. Pokalfinalist 2009/10
  • AC Mailand italienische Meisterschaft 2017/11
  • AC Mailand/Supercup 2011
  • Eintracht Frankfurt DFB-Pokal 2017/18
  • FC Barcelona spanische Meisterschaft 2018/19

Rowdy und Genie

Beim AC Mailand war er in der Saison 2012/13 Stammspieler. Aufgrund seiner überragenden Leistungen war ihm die prestigeträchtige Nummer 10 erteilt worden. Und doch führte er ein unstetes Fußballerleben. In nur 12 Jahren hat er für 14 Vereine gespielt, in der Regel erfolgte nach einem Jahr die Trennung aufgrund von Zerwürfnissen. Kevin-Prince Boateng ist ein unangepasster Fußballspieler, der sich viele Chancen selbst verbaut hat.
Im Wedding, im Gesundbrunnen-Kiez, aufgewachsen, wollte er schon als Junge von ganz unten den Traum vom Fußballprofi verwirklichen und Gas geben. Nach eigenem Eingeständnis hat er dabei „zuviel Gas gegeben, zuviel und hart gekämpft und immer Widerworte gegeben“. Er ist für seine harte Gangart auf dem Spielfeld bekannt, verfügt aber auch über Charisma und Führungskompetenz, ein Rüpel und Fußballrowdy und zugleich ein Fußballgenie. Kevin allein im Stadion und manchmal hat er sich vergessen: 2009 war der 22jährige Berliner wegen der Beschädigung von 13 Fahrzeugen in Berlin-Wilmersdorf (zusammen mit dem Fußballer Patrick Ebert) zu einer Geldstrafe von 56.000,00€ verurteilt worden. Dieses Verhalten außerhalb der Stadien dürfte maßgeblich dafür gewesen sein, dass er niemals für die deutsche Nationalmannschaft gespielt hat, obwohl er bekannte, dass er es gerne getan hätte.
Seit 2009 spielt er in der Nationalmannschaft für Ghana, er hat jedoch später seinen Austritt erklärt. Jürgen Klopp, unter welchem Kevin-Prince Boateng zu Dortmunder Zeiten für einige Monate spielte, schwärmt von ihm in den höchsten Tönen:

„Er beherrscht 100 Arten, den Ball anzunehmen und ein Dutzend Optionen, an einem Gegenspieler vor beizuziehen. Dank der technischen Stärke und Spielübersicht ist er in der Lage, seine Mitspieler durch gezielte Pässe aussichtsreich in Szene zu setzen. Er verfügt über eine außergewöhnlich gute Schusstechnik und Schusskraft …“

Jürgen Klopp


Berühmt und berüchtigt ist Boateng geworden wegen eines Fouls 2010 an Michael Ballack, Kapitän der deutschen Nationalmannschaft, im englischen Cup-Finale. Boateng spielte für Portsmouth, Michael Ballack für FC Chelsea. Beide gerieten in einer Rangelei aneinander, wobei Michael Ballack Boateng mit der Hand ins Gesicht schlug. Dieses Foul wurde vom Schiedsrichter nicht geahndet. Boateng foulte Ballack so hart, dass dieser für die im Sommer stattfindende Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika ausfiel. Boateng wurde zum Staatsfeind in Fußball-Deutschland erklärt.

Der Faustschlag von Michael Ballack in das Gesicht des Boateng war im Bewußtsein der deutschen Fußballseele ohne Bedeutung geblieben.
Und dennoch gibt es eine entscheidende Wende im Leben des Kevin-Prince Boateng:

Mobbing im Fußball – die Episode in Mailand

Am 03.01.2013 spielte Boateng für AC Mailand beim Viertligisten in Arsizio nördlich von Mailand. In der italienischen Liga war es an der Tagesordnung, farbige Spieler des Gegners, insbesondere afrikanischer Herkunft, durch Affenlaute zu reizen und zu demütigen und ein systematisches Mobbing gegen diese Spieler. an den Tag zu legen Immer wenn Boateng, der gefährlichste Spieler des AC Mailand, den Ball erhielt, begleiteten die Zuschauer jede seiner Aktionen mit Grunzen, Johlen und Ausstoßen von dumpfen Affenlauten. Und Boateng hatte den Ball sehr oft am Fuß.
Irgendwann war es ihm genug. Noch ein Dribbling am linken Flügel, Haken nach rechts, einmal mit der Sohle über den Ball und dann – bleibt er plötzlich stehen. Er nimmt den Ball in die Hand, dreht sich um und schießt ihn ins Publikum, er brüllt noch ein paar Worte hinterher, zieht sich das Trikot über den Kopf und geht.
Seine Kollegen marschieren geschlossen hinterher. Der Schiedsrichter versucht, ihn aufzuhalten, aber auf dem Spielplatz hat sich Boateng noch von niemandem aufhalten lassen. Das Spiel wird abgebrochen. Kevin-Prince Boateng hatte sich zuvor mehrfach beim Schiedsrichter über die Zuschauer beschwert, ohne Gehör zu finden.

Es folgte eine Welle überwältigender Zustimmung aus Italien, Europa und der ganzen Welt. „Wir sind schwarz wie er, schwarz im Gesicht, in der Seele, schwarz vor Wut“, schrieb die Gazzetta Dello Sport. Der US-Nachrichtensender CNN brachte eine Sondersendung. Was unzählige Kampagnen mit Plakaten, Fernsehspots und salbungsvolle Botschaften nicht geschafft hatten, Kevin-Prince Boateng schaffte es eher nebenbei und ungeplant: Boateng machte spontan einfach das, was er schon immer am besten gekonnt hatte, er schoß den Ball im richtigen Augenblick in die richtige Richtung. Für Mobbing-Opfer ein tolles Beispiel wie es laufen kann: Einmal besticht die Solidarität der Mitspieler und die der Presse und dann ist es einfach gut und konsequent, sich einer brenzligen Situation zu entziehen. Boateng hat dem Mob-Publikum die rote Karte die Grenzen aufgezeigt. Wenn die Zuschauer sich nicht an die Anstandsregeln halten, wird abgepfiffen. Mobbing im Fußball scheint auch abgewehrt werden zu können.

Malaria und Rassismus haben viel gemeinsam, so Boateng

Kevin-Prince Boateng wurde für sein gesellschaftliches Engagement gegen Rassismus geehrt. Am 21.03.2013 erhielt er eine Einladung der Vereinten Nationen zu einer Menschenrechtstagung in Genf. Auf dieser Veranstaltung hielt er eine viel beachtete Rede gegen Rassismus im Sport. Er erzählte von seiner Zeit in Ghana, der Heimat seines Vaters, von der Malaria, gegen welche sich die Bewohner impfen lassen. „Es reiche nicht aus, die Mücken zu töten, Du musst den Sumpf austrocknen“.
Er machte eine kurze Pause und betont jedes einzelne Wort: „Den Sumpf austrocknen – ich glaube, Malaria und Rassismus haben sehr viel gemeinsam“.
Er schließt mit dem Satz:

„Meine Damen und Herren, helfen Sie mir, den Sumpf auszutrocknen.“

(Tagesspiegel vom 22.03.2013)

Sein Fußballtrainer in der Jugendzeit äußerte sich wie folgt über ihn: „Mit Rassismus und Mobbing ist Kevin immer auf seine eigene Art und Weise umgegangen, trotzig und unerschrocken, wütend bisweilen, aber immer schlagfertig.“

Mobbing im Fußball wird zum Thema: Plötzlich änderte sich die Meinung, welche die deutsche Öffentlichkeit über Kevin-Prince Boateng gebildet hatte. Seinem Namen haftete bisher das Image des schwer erziehbaren Halbstarken an. Ein Anarcho-Fußballer, der die Straßenkämpfermentalität aus seiner Kindheit hinaus in die Bundesliga und später in die europäischen Ligen trug.
Kevin-Prince Boateng und sein Halbbruder Jerome Boateng, welche ihre Fußballkarriere bei Hertha BSC begonnen haben, ließen jüngst anklingen, dass sie gemeinsam ihre Karriere bei Hertha BSC beenden möchten. Es wäre eine Rückkehr zu den Wurzeln und ein wunderschönes Happy End. Diese Meinung vertritt Rechtsanwalt Georg Wenning, Fachanwalt für Arbeitsrecht und leidenschaftlicher Fußballfan, der sich nicht nur für Mobbing im Fußball interessiert.

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